Jedes Jahr habe ich zwölf Wünsche frei. Jedes Jahr mache ich mir eine Liste, damit ich keinen vergesse und jedes Jahr warte ich darauf, dass sie in Erfüllung gehen. Ein schwerer Fehler, wie ich erst jetzt verstehe.
Ich bin ja nicht so direkt abergläubisch. Allein schon, weil das Unglück bringt. Ich bin, sagen wir mal, eher ein Mensch, der sich gegen Risiken abzusichern weiß, wenn sich die Gelegenheit bietet. In Spanien bietet sich diese Gelegenheit jedes Jahr zu Silvester. Und wie es so ist mit Gelegenheiten, man muss sie nicht nur zu nutzen wissen, das Glück lacht vor allem dem, der darauf vorbereitet ist. Mir zum Beispiel.
Ich überlasse nämlich nichts dem Zufall. Und weil das so ist, hoffe ich, dass das Glück diese Mühen zu würdigen weiß und sich zum Dank kuschelig bei mir einnistet. Nenn mich einen Kontroll-Freak, aber hier geht es schließlich um nichts Geringeres als das Glück eines ganzen Jahres! Zwölf volle Monate! Glück!
Der erste Schritt meiner Vorbereitungen begann früher bereits so um Ende November, wenn ich in Gesprächen mit meinen Freunden dezent fallen ließ, dass ich ja noch ganz dringend eine rote Unterhose zu Weihnachten benötige. Die Sache ist nämlich die: das Glück kommt nur zu dem, der zu Silvester rote Unterwäsche trägt. Muss man wissen. Und auch den Anforderungskatalog, den es dafür gibt. Zunächst einmal muss sie ein Weihnachtsgeschenk sein und natürlich nagelneu. Selbst kaufen geht nicht. Die vom letzten Jahr tragen, bringt einen auch nicht weiter. Und wie meine eigenen empirischen Studien in dieser Sache deutlich belegen, ist auch die Marke, entgegen anderslautenden Vermutungen , durchaus von Belang. Ich könnte hier bestürzende Dinge erzählen über das Jahr, das in Unterwäsche von „Agent Provokateur“ begann. Ich sage nur so viel: Da lohnt sich für mich keine Kundenkarte. „Triumph“ hingegen, hat seinem Namen alle Ehre gemacht und ist deswegen zusammen mit „Change“ auf die Liste der dem Glück zugeneigten Marken ebenso gut aufgehoben, wie „Chantelle“ – wenn sich mir auch hier der Sinn nicht recht erschließen mag. Und weil das alles nicht so einfach ist, haben eine fachkundige Freundin und ich inzwischen einen Unterhosen-Pakt geschlossen. Sie schenkt mir verlässlich jedes Jahr einen Schlüppi zu Weihnachten, der allen Anforderungen entspricht und ich beliefere sie ebenso mit einem Stück vom Glück fürs nächste Jahr. Wenn das erledigt ist, kommt der schwierige Teil:
Man muss sich was wünschen. Und damit kann man gar nicht vorsichtig genug sein!
Genau um Mitternacht versammelt sich in Spanien nämlich die Nation um eine Glocke. Wer nicht irgendwo wohnt, wo es eine geeignete Rathausuhr gibt, bekommt ins Restaurant, in die Kneipe oder das heimische Wohnzimmer die Glocke der Puerta del Sol in Madrid gespielt. Erst bimmelt es unmotiviert, damit man weiß, dass es gleich los geht und dann ist es soweit: 12 Glockenschläge schlägt die Uhr. Und bei jedem muss man sich was wünschen und eine Weintraube essen.
Auch das bedarf natürlich der Vorbereitung. Da wären erst einmal die Weintrauben. Die gibt es bereits geschält, entkernt und abgezählt in Sirup eingelegt zu kaufen. Das ist gut, denn das ist praktisch und das flutscht gut. Man muss sich ja beeilen mit dem Wünschen. Das also wäre die leichte Übung. Der weit schwierigere Part sind die Wünsch selbst. Die meisten Touristen werden ja gänzlich vom Wünschen überrascht und machen so immerhin als erste Erfahrung des Jahres, dass ihr Leben gar nicht so viel zu wünschen übrig lässt. Ist ja auch schön. Den meisten gehen so etwa um den Wunsch 5 oder 6 die spontanen Wünsche aus. Und genau darum mache ich natürlich einen Wunschzettel. Dafür nehme ich mir wirklich richtig viel Zeit. Und weil das Glück ganz schön kritisch sein kann, investiere ich auch in eine möglichst unmissverständliche Formulierung. Gott sei Dank bin ich ja vom Fach was Briefings angeht.
Erstaunlicher Weise verlege ich den Wunschzettel nach Silvester immer.
Aber irgendwann taucht er plötzlich auf und wenn er zufällig gleichzeitig mit einem anderen Wunschzettel auftaucht, ergibt sich, dass ich eigentlich jedes Jahr mehr oder weniger das gleiche wünsche. Und jedes Mal muss ich darüber lachen und dann schmeiße ich den Zettel weg und setzte mich vor dem nächsten Silvester wieder hin und gebe mir Mühe, als würde ich das zum ersten Mal machen. Nur in diesem Jahr war das anders. Ich finde also gestern diesen Wunschzettel. Einen Zettel, dazu gemacht, mir wunderbare Dinge zu verschaffen, in den Schoß zu werfen so zu sagen. Bestellungen ans Universum, würden die esoterischsten unter uns sagen. Und als ich den so lese, trifft mich die Erkenntnis wie ein Blitz:
Wunschzettel sind To-Do-Listen!
Die Drei-großen-Gs, Gewichtsverlust, Geld, Gesundheit: Alles Dinge, die das Glück zuverlässig bringt, wenn man vorher etwas dafür tut. Anders essen, anders arbeiten, anders bewegen zum Beispiel. Egal was, aber anders. Und alles muss man selber tun. Da kommt kein Glück und gießt ein Füllhorn über einem aus. Verdammt!
Auf meinem Wunschzettel stand auch noch: Buch fertig kriegen. Auch das, sagt das Glück, wird zuverlässig erledigt, wenn ich mich nur mal hinsetzen und schreiben würde. Ach so. Ach ja. Hmmm. Hatte ich mir jetzt anders… Ergibt aber tatsächlich einen Sinn.
Selbst die ganz großen Räder „Weltfrieden“ und „Geborgenheit“ muss ich selber drehen. Bei genauer Betrachtung bin ich für alles auf meinem Wunschzettel selbst zuständig. Und irgendwie ist das ja auch eine erfreuliche Nachricht, dass man Einfluss nehmen kann, dass man nicht warten muss, bis es Tag wird, sondern einfach die Sonne selbst über den Horizont schieben kann.
Und das Glück? Das Glück steht dabei und isst meine Weintrauben.