Frau Fricke wundert sich, wann sich aus Teilen ein Ganzes ergibt

Wäre St. Martin der Schutzheilige der Sharing Economy, dann ginge die Geschichte so: Ritter trifft auf Bettler, teilt seinen Mantel, lässt den Bettler zwei Drittel des Mantels bezahlen und zahlt dem Jungen, der ihm den Bettler gezeigt hat 10% Provision. 

Ich gewöhne mich langsam daran, dass mir jeden Tag irgendetwas, das wirklich mal so richtig Schnee von gestern ist als der ganz heiße Scheiß von heute angedreht wird. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann bin ich hin und hergerissen zwischen: „Ihr seid doch wohl nicht ganz dicht.“ und „Alter, die haben’s aber drauf, was, das immer schon da war, für sich zu reklamieren.“ Letztlich kommt man vermutlich nur so zu was. Wasser und Land waren ja auch schon da, bevor irgendwer auf die Idee kam, sein Namensschild dran zu hängen. Trotzdem wundert mich eine Sache ganz besonders: Die „Sharing Economy“. Und mit der Wortschöpfung geht’s schon los.

No Sharing lots of Economy

In keiner Form legaler Ökonomie wird nämlich so wenig geteilt wie in der Sharing Economy. Wenn ich mir ein Taxi rufe, shared der Taxifahrer nicht nur für eine festgesetzte Dauer sein Fahrzeug mit mir, er shared auch vom daraus erwachsenen Profit die Steuern mit der Allgemeinheit. Das ist bei Uber mehrheitlich nicht so.

Miete ich mich in einem Hotel ein, shared der Hotelier neben Steuern und Abgaben auch vorschriftsmäßige Sicherheitssysteme mit mir oder einen Versicherungsschutz im Fall, das irgendwas passiert. Der Airbnb-Vermieter shared, wenn ich Pech habe, nicht einmal die Information, dass er just zu der Zeit, in der ich mich eingemietet habe, umziehen wird. Mit allergrößter Sicherheit aber shared er nicht seinen Verdienst und der kann erklecklich sein.

Letztes Jahr war ich zum ersten Mal auf Ibiza. Ein Freund hat mich eingeladen und uns in so einem Airbnb-Appartment untergebracht. Am Flughafen erwartete uns der Vermieter und auf der Fahrt kamen wir so ins Plaudern. Ob das die einzige Wohnung sei, die er vermietet, frage ich ihn. Ne, er habe vierzig. VIERZIG. Vier Null. 40!

Ich war erstaunt, denn der Mann ist erst vor 10 Jahren auf die Insel gekommen sagt er. Ja, sagt er, das sei so, erst habe er auf dem Bau gearbeitet und daher gewusst, wo Wohnung zu haben waren. Das war noch zu der Zeit, wo jeder Depp, der vor der Bank lang hinfiel mit einer Hypothek in der Tasche wieder aufstand. Damals hat er die erste gekauft und vermietet und vom Verdienst die zweite. Dann wurden die Gesetze verschärft und eigentlich wollte er die Wohnungen da anmelden, aber auf Ibiza sei so ein Vermietungsstopp verhängt worden.Da ging das natürlich nicht mehr. Und wer eine Wohnung nicht anmelden kann, der kann auch keine Steuern dafür zahlen. Ist ja nun nicht seine Schuld, findet er. Und das Geld muss ja irgendwo hin. Also hat er davon neue Wohnungen gekauft, die er auch alle nicht anmelden kann, weil ja… Wir kennen das Prinzip. Mir blieb der Mund offen stehen. Das also ist Sharing Economy. Der Economy-Teil ist mir klar. Wo ist das Sharing?

Greed without Need

Früher gabs ja auch schon Mitfahrzentralen, es gab Mitwohnzentralen, es gab Flohmärkte und Kuchenbasars. Kurz: All die physischen Vorgänger von Uber, BlaBlaCar, Airbnb, Ebay, Eatwith und vergleichbaren Plattformen. Und auch damals hat keiner Steuern bezahlt, wenn er jemanden von seinem Studienort Göttingen bis zum Wohnort seiner Eltern in Oberammergau mitnahm, ganz einfach, weil es keinen Zugewinn gab. Gewöhnlich wurden die Spritkosten durch die Anzahl der Mitfahrer geteilt (plus eine Mini-Vermittlungsgebühr). Wer über die Mitwohnzentrale sein WG-Zimmer vermietete, während er sich selbst in Goa suchte, hat das Zimmer gewöhnlich zu dem Preis vermietet, den er auch selbst gezahlt hat – plus vielleicht 10% für die Reisekasse. Ich weiß das sicher, denn früher habe ich meine gesamte Wohnung für die Zeit vermietet, in denen ich auf Reisen war. Anders hätte ich mir das gar nicht leisten können, denn ich hab für den Preis vermietet, den ich selbst als Miete gezahlt habe. Vollausstattung gabs so zu sagen umsonst. Ich hatte da nichts zu versteuern. Was als Verdienst reinkam, ging als Miete raus. Es war nicht üblich, seine Miete zu verdreifachen – einfach nur, weil man konnte und keiner guckte.

In den old school sharing economies haben die geteilt, die sonst nicht genug gehabt hätten – für eine Zugfahrt nach Hause, für einen Urlaub, für irgendwas, was ihm wichtig war. Das Teilen stand im Vordergrund. Wegen mir hat ein Paar, eine schöne Wohnung gehabt, nachdem ihre abgebrannt war und renoviert werden musste. War nicht ihre Schuld, wie sie nicht müde wurden zu betonen. Das war bei Bauarbeiten passiert. Die beiden hießen übrigens – true story! – Brendel und Feuerle. Aber ich schweife ab. Also, ich hab denen meine Wohnung vermietet, was die irrsinnig gefreut hat. Und ich, ich konnte 3 Monate im Süden überwintern, was mich irrsinnig gefreut hat. Später haben wir auch Adressen geteilt und Erfahrungen und wir haben uns gegenseitig besucht. Das war nett. Das war Sharing.

Heute hat die Betonung auf „Economy“ gewechselt und damit auch das Publikum. Wie immer, wenn es was zu holen gibt, treten die auf den Plan, die davon gar nicht genug haben können. Die, die sich lieber 40 Wohnungen von ihren Einnahmen kaufen, als Steuern zu zahlen. Die, die schon die Mittel haben, die halbe Innenstadt aufzukaufen, aber finden, das „mehr“ immer besser ist als „viel“.  In der Share Economy findet die Verteilung also wieder von unten nach oben statt. Und das ist schade.

Sharing is caring

Schade auch, weil keiner die Verantwortung übernimmt. Anbieter finden, dass sie nur die ihnen gebotenen Möglichkeiten nutzen. Die Vermittlungsplattformen sehen sich selbst nur als das willenlose Gefäß, in dem Andere ihre üblen Machenschaften anrühren. Damit, finden sie, haben sie nichts zu tun.

Nicht mit der Entvölkerung der Innenstädte durch Touristenwohnungen, nicht mit dem massiven Steuerausfällen und auch nicht damit, dass ehrliche, steuerzahlende Tourismus-Betriebe Leute entlassen müssen, weil sie ihre Preise gegen steuerhinterziehende Anbieter ohne Personal positionieren müssen. Jeder schaut nur bis zu seinem eigenen Nabel, denn hey, zwischen uns und unserem Gewinn steht nur eine Maschine und die urteilt nicht.

Tatsächlich ist die Sharing Economy das Gegenteil dessen, was das Wort nahelegt. Sie ist eine Economy, in der keiner mehr was umsonst kriegt. Geteilt wird nix. Jeder ist sein eigener hard boiled Gordon Gekko. Und ich hoffe sehr, dass sich diese Denke nicht noch mehr in unseren Alltag ausbreitet. Ich will weiter Freunde in meinem Gästezimmer übernachten lassen ohne die dumme Nuss zu sein, die zu blöd ist, eine Rechnung auszustellen. Ich will weiter meine Freunde bekochen und mich allein der Kalkulation der Portionsgrößen widmen müssen und ich will mich weiter einfach nur freuen können, wenn ich irgendwo anreise und mir meine Freunde schon mein Bettchen gemacht haben, mein Lieblingsessen gekocht und den Ofen an.

All denen, die jetzt genau wissen, dass sie gemeint sind: Thanks for Sharing!

 

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