Der erste Absatz hier, ist fett gedruckt. Warum „fett“ so heißt, ist offensichtlich. Die Buchstaben sind dicker als der Rest. Haben sie also einen Grund, beleidig zu sein?
Es mag an der Jahreszeit liegen. Während sich in Deutschland die Leute von der Fastenzeit erholen, geht in Spanien die „Operacion Bikini“ los – die Brachial-Diät zwischen Ostern und dem ersten Strandtag, an dem man in jedem Fall eine gute Figur in einem Badeanzug machen muss, der keine Vergebung kennt.
Und als wenn jemand ein Startzeichen gegeben hätte, schreiben sich gerade alle ihre Empörung von der Seele. Heute sind schon drei Leute in meinem Umfeld empört. Und ich frage mich: Was ist denn da los?
Der erste ist ein Psychologe. Männlich – und soweit ich das beurteilen kann, ohne Gewichtsprobleme. Der postet einen Link zu einem Filmtrailer, in dem eine Frau versucht, herauszufinden, warum sie nicht glücklich geworden ist, nachdem sie sich den perfekten Körper angehungert und -trainiert hat. Ich wundere mich ein bisschen, denn mal so rein logisch betrachtet: Wo ist denn da überhaupt der Zusammenhang? Man baut beim Hungern Fett und Muskeln ab und beim Training Muskeln auf. Und weil es zwar einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen Muskeln und Bewegung gibt, aber keinen zwischen Muskeln und Glück, wird da wohl die Erklärung liegen. Das hätte ich in vier Zeilen erklären können. Aber son Film ist bestimmt auch gut.
Es gäbe so viel Grund zum Selbsthass, schreibt der Psychologe dazu. Echt? Ich seh gar keinen.
Die zweite, die sich empört, kenne ich gar nicht. Aber sie erscheint auf meiner Facebook-Wand, weil sie jemanden kennt, den ich kenne. Und sie ist empört und zwar deswegen, weil sie jemand schriftlich gefragt hat, was ältere Damen, deren Figur nicht mehr modelmäßig ist, denn bitte im Sommer so tragen. Ich finde die Frage auch etwas verstörend, denn ein Blick aus dem Fenster sollte diese Frage in einem Land, in dem der Großteil der Bevölkerung über 40 ist beantworten können. Noch verstörender aber finde ich den allgemeinen Furor. Eine Frechheit sei es, finden alle, die darauf antworten, eine Fünfzigjährige als „ältere Dame“ zu bezeichnen. Von der aktuellen Lebenserwartung von 75 Jahren ausgehend, selbst bei größerer Aufrundung (no offense!) auf 80, hat jeder der sein 40. Lebensjahr hinter sich gelassen hat, seinen Zenit überschritten. Ab sofort liegen mehr Jahre hinter ihm als vor ihm. Er ist also älter als der Durchschnitt, was die Bezeichnung „älterer Mensch“ aus meiner Sicht rechtfertigt. Woher also die Aufregung?
Alles wäre so viel einfacher, wenn man eine Beobachtung nicht mit einer Wertung verwechseln würde.
Denke ich jedenfalls. Aber vielleicht denke ich da auch falsch. Keine Ahnung. Neulich fragt mich eine Freundin, ob ich eigentlich jemals einen Job nicht gekriegt hätte, weil ich aussehe, wie ich aussehe. Ich muss erst mal einen Augenblick nachdenken, wie ich aussehe und was sie damit meinen könnte. 1,73? Grüngraue Augen? Rote Haare? Kleidergröße… Hey, ok! Nö, ich glaub nicht… Oder doch? Keine Ahnung. Ich kann eine Menge, was andere nicht können. Ich bin so zu sagen der fette Nerd, der in Spielfilmen immer in der Besenkammer die tollen Coups ausbaldowert, die Ryan Gosling dann durchführt und für die er gelobt wird. Ryan Gosling kommt gar nicht klar ohne mich. Und ich bin nicht scharf darauf, von Plakaten zu lächeln. Das soll der mal machen. (Ehrlich jetzt, der fette Nerd, der sich den Coup ausgedacht hat, ist NIE mit auf dem Plakat und wird deswegen auch nicht gestalked. Gott sei Dank!)
Aber was, wenn ich mich irre? Vielleicht bin ich ein Paria und weiß es nur nicht. Vielleicht hängt mein Bild an der Tür von Agenturen und Unternehmen auf der ganzen Welt mit der Unterzeile „Wir müssen leider draußen bleiben“. Vielleicht hängt mein Bild auch genau NICHT da, weil es eine optische Zumutung wäre, eine Beleidigung der guten Sitten. Und ich – schamlos und unwissend – spaziere umher als wäre es vollkommen ok, dass es mich gibt und ich bin, wie ich bin.
Gibt es außer Stan und Olli wirklich keinen, der zwischen Dick und Doof unterscheiden kann?
Und: Gibt es Angela Merkel vielleicht gar nicht?
Der aktuell amtierende „Führer der Freien Welt“ ist eine dicke alte und – nach objektiver Beobachtung im Abgleich mit gängigen Schönheitsidealen – nicht besonders schöne Frau. Und ich gehe stark davon aus, dass sie ist, wo sie ist, weil sie ihre Zeit nicht mit Gurkenmasken und Apfeldiäten vertrödelt hat. Frau Merkel, da bin ich mir sicher, hat einen Scheiß drauf gegeben, wie sie beurteilt wurde und hat, wenn sie als dick, alt und – Gipfel aller Beleidigungen – Frau beschimpft wurde einfach nur genickt und gesagt: „Stimmt. Könnten wir jetzt bitte zum Thema zurück kommen.“
Nun gibt es, das will ich nicht unerwähnt lassen, Situationen, in denen genau das das Thema ist. Machen wir uns nichts vor.
Sollte ich eines Tages in einem Raum voller dünner Männer um die 20 einen Schlaganfall erleiden, hoffe ich sehr, dass sich irgendwer ein Herz fasst und den herbeieilenden Sanitätern zuruft:
„Schnell! Es ist die dicke alte Frau!“