Frau Fricke wundert sich über elektrische Widerstände

Frauen und Technik, das ist ja so eine Sache. Vor allem, wenn sie dabei mit Männern zu tun haben. Jüngeren zumal. 

Mein WIFI ist mies. Ist es schon lange. Aber so richtig, richtig genervt bin ich davon erst seit kurzem. Und deswegen marschiere ich gleich als erstes im neuen Jahr hinunter in den Telefonshop meines Vertrauens und schließe bei einer sehr netten und kundigen jungen Frau einen neuen Vertrag mit einem neuen Provider ab. Alles andere macht dann der. Find ich gut. Ich muss einfach nur nach Hause gehen und abwarten, bis in ein paar Tagen der Monteur kommt, mich mit Glasfaser ausstattet und dann alles viel besser, schneller und bunter wird.

Der Monteur kommt tatsächlich schneller als gedacht. Er bohrt, er hämmert und als er wieder geht, habe ich ein super Internet. Nur mein Festnetz funktioniert nicht mehr. Mein spanisches Handy auch nicht. Ist aber eh Wochenende, also was soll’s?

Ich verbringe ein sehr ruhiges Wochenende. Dann ist Montag und ich rufe von meinem Festnetzanschluss mein deutsches Handy an. Es klingelt. Eine Nummer wird angezeigt. Es ist nicht meine. Oh!

Ich rufe also vom deutschen Handy aus meine Festnetznummer an. Es klingelt nicht. Aber es springt eine Mailbox an. Es ist die Mailbox meines spanischen Handies. Mysteriös!
Das Gerät selbst wiederum gibt keinen Mucks von sich. Mit dem bloßen menschlichen Auge sieht es aus wie tot.

Sonderbar!

Ich marschiere also zurück in den Telefonladen und frage nach der jungen Frau, die mir den Vertrag verkauft hat. Die hat heute leider frei. Aber ein junger Mann ist gewillt, sich meiner anzunehmen. Ich schätze ihn auf irgendwas unter 30. Neben ihm sitzt eine junge Frau so um die 20, als würde sie da irgendwie gar nicht hingehören. Vielleicht ist sie im Training. Vielleicht ist sie auch sein Supervisor und die Tatsache, dass sie eigentlich die ganze Zeit auf ihrem Smartfon rumdödelt ist gar nicht ihrer umfangreichen Fangemeinde, sondern rein beruflichem Interesse geschuldet. Wer soll das schon wissen?

Kaum hat der junge Mann mir einen Platz angeboten, fragt er mich in mildem Ton, was denn mein Anliegen sei. Und kaum habe ich begonnen, es ihm zu schildern, unterbricht er mich auch schon mit einem ebenso milden Lächeln.
„Mütterchen“, lese ich aus diesem Lächeln, „Lass uns das hier abkürzen. Ich weiß, du bist nur hier, weil du einsam bist und der Arzt heute keine Zeit hatte mit dir zu plaudern und ich habe wichtige Dinge zu tun.“

„Wo ist denn diese Karte, die du gekriegt hast?“ fragt er mich.
„Was für eine Karte?“
„Na so eine Karte. Ist vielleicht mit der Post gekommen.“
„Eine Postkarte?“
„Nein, so aus Plastik.“
„Du meinst die SIM?“

Ich kann sehen, wie der junge Mann denkt:
„Wo hat die alte Dame denn nur solche Ausdrücke her?“
Dann lächelt er gerührt und sagt:

„Ja, genau. Die SIM.“

Ich zeige auf das Handy und versuche ihm weiter zu erklären

„Die ist da natürlich schon drin! Also, das Problem ist…“

Der junge Mann hat offenbar keine Zeit für Probleme. Er hat beschlossen, Teil der Lösung zu sein. Einer schnellen Lösung. Er hat keine Zeit für Erklärungen.

„Und wo ist der Rest?“
„Von der SIM?“
„Ja, wo ist der Rest?“
„Du meinst, die Trägerkarte?“
Er zuckt die Achseln.
„Hab ich weggeschmissen.“

Facepalm-Situation seinerseits!

„Da ist doch die PIN drauf!“ ruft er aus.
Seine Verzweiflung bricht sich in einem kurzen Aufstöhnen Bahn.
„Die hab ich natürlich vorher eingegeben und dann geändert.“, sage ich.
Erleichterung! Aber auch Verwirrung. Dass ich sowas kann!
Und dann wieder Erleichterung.

„Dann muss es doch gehen!“ sagt er.
„Ganz meiner Meinung. Tut es aber nicht. Darum bin ich hier. Wenn ich dann mal…“
Ich sehe, wie er Luft holt und muss leider zu Drohungen übergehen.

„Wenn du mich jetzt noch EINMAL unterbrichst, setze ich dieses Gespräch mit der Shopleitung fort.“
Sein Blick ist irgendwo zwischen Überraschung und Amüsement angesiedelt. Junge, Junge, das hätte man ja nicht gedacht, dass das Mütterchen hier sonen Wind macht. Niedlich irgendwie. Aber auch nervig. Also erklärt er sich schnell:

„Aber ich weiß schon, woran es liegt.“
„Ok, woran liegt’s?“
„Das Telefon ist nicht freigeschaltet.“
„Du meinst, die Hardware?“
„Ja. Ist nur für einen Anbieter zugelassen und für andere gesperrt.“
„Nein, ist sie nicht.“
„Woher willst du das wissen?“
„Weil das mein Telefon ist und ich es schon mit fünf Karten in drei Ländern betrieben habe. Darum. Außerdem,“ ich öffne die Netzwerkeinstellungen, „hier, das Telefon erkennt die Dienste eures Anbieters, gibt aber an, dass die SIM nicht konfiguriert ist. Die Karte wird also erkannt, nur die Nummer nicht. Ich vermute also, dass Ihr entweder die Nummer noch nicht freigeschaltete habt, oder – Überraschung – dass bei der Konfiguration der Karte was schief gegangen ist.“
„Woher willst du das wissen?“
„Weil es hier steht.“
„Das ist auf Deutsch.“
„Stell dir das ruhig auf Spanisch um.“
Der Mann wird unsicher und gibt mir das Handy zurück
„Du kannst doch schnell für mich übersetzen.“
„Ich kann sogar für dich die Spracheinstellung ändern.“ sage ich und tu das auch.

Das macht den jungen Mann nervös. Er winkt eine Kollegin heran und fragt, ob er mal ihr Handy benutzen dürfe. Er pult ihre Karte aus ihrem Handy. Er pult meine Karte aus meinem Handy. Dann legt er meine Karte in ihr Handy ein, wartet eine Weile.
Die Karte funktioniert.
„Und du hast sogar schon eine Nachricht!“ sagt er.

„Prima“, sag ich, „dann lass uns das Ding gleich mal wieder in meinem Handy einlegen.“
Er legt ein, es macht „Ping“, ich hab eine Nachricht. Die ist genau eine Minute alt und geht etwa:
„Wir bedauern die Verzögerung im Transformationsgeschehen. Leider hatten wir eine Havarie, die jetzt aber behoben ist. Willkommen bei (neuer Telefonanbieter).“
Sag ich doch!

„Hattest du wohl falsch eingelegt“

sagt er und weil ich auch keine Zeit für Probleme und bereits eine Lösung habe, wünsche ich einfach nur einen guten Tag und gehe.

Ich muss nämlich noch das Kabelchaos ordnen, das der Monteur hinterlassen hat. All die Boxen und Anschlüsse und Kabel will ich unsichtbar unter einem Schrank verstecken. Dafür sind aktuell die Netzkabel zu kurz, aber – hurra – alle Geräte sind mit C8-Steckern versehen. Das heißt, ich kann mir einfach längere Kabel besorgen und die umstecken. Easy! Und weil lokal kaufen ja so irre wichtig ist, widerstehe ich der Versuchung, mir die Kabel am nächsten Morgen durch ein großes internationales Online-Kaufhaus liefern zu lassen, sondern ich fahre statt dessen mit dem Bus in die Stadt.

In zwei kleinen Läden – nichts. Also muss ich zu Saturn gehen. Immerhin: physisch und lokal. Was soll’s? Auch bei Saturn arbeiten offenbar nur junge Männer. An einen von denen wende ich mich mit meinem Wunsch nach drei C8Kabeln von drei Metern Länge. Der Mann schaut mich aus hohlen Augen an.

In einer Mischung aus kluger Voraussicht und posttraumatischer Belastungsstörung aus meinem Gespräch mit SIM-Boy habe ich eins der zu kurzen Kabel mitgenommen. Das zeige ich ihm jetzt. Dann trottet er vor mir her zu einem Hänge-Display. Dort findet er – völlig überrascht – tatsächlich C8Kabel. Zwei Stück. Alle sind ein Meter fuffzig. Andere hat er nicht. Aber er guckt mal gerade im Intranet. Er guckt. Er findet. Alles, was ich jetzt noch machen müsse ist, etwa eine Stunde lang an den Stadtrand zu gondeln und das Kabel da zu kaufen. Mehr als eins gäbe es aber nicht. Und auch das könne er nicht garantieren. Nee, is klar.

Gegenüber ist Fnac.

Also gehe ich auch da hin. Wenn man mal da ist.

Auch Fnac ist voller junger Männer. Ich wende mich an den ersten, der mir über den Weg läuft. Er steht in der Abteilung mit Computern und Zubehör. Es ist auffällig leer, also kann ich ihn direkt ansprechen, während er gelangweilt auf ein Regal starrt.

C8Stecker? Nie gehört! Und wenn er davon nie gehört hat, gibt es dafür nur eine Erklärung: Die gibts gar nicht.
Ich ziehe meinen C8Stecker aus der Tasche.
Wo ich den denn her hätte? Also aus Spanien bestimmt nicht. Hier gibt es sowas nicht.
Ich ziehe wortlos den Netzstecker aus einem der Drucker, vor denen wir gerade stehen. Es ist ein C8Stecker.
Ob es noch irgendwo Kabel gibt, frage ich ihn.
Er zuckt die Achseln.
„Fernsehabteilung?“ frage ich.
Er deutet in irgendeine Ecke.

Da finde ich einen anderen jungen Mann. Auch der findet mich und meinen Stecker irgendwie süß. An seinem Lächeln sehe ich, dass er denkt, dass ich den bestimmt aus einer Musiktruhe gezogen habe, aus einem Faxgerät oder aus einer dieser lustigen Schwebehauben, die er neulich auf einem vergilbten Foto bei seiner Omi gesehen hat. Putzig, diese alten Leute, wie sie den technischen Fortschritt verpennen und allenthalben irgendwas reparieren wollen, was nun mal der Vergangenheit angehört.
Nee, also solche Kabel sagt er, die gäbe es nicht. Oder nicht mehr. Er jedenfalls hätte noch nie so ein Kabel gesehen. Wo ich das denn her hätte.

Ich sage ihm, dass das ein Euro-Standard-Kabel ist und so ziemlich jeder Fernseher damit ausgestattet ist. Er lacht. Das müsste er doch wissen. Er arbeitet ja schließlich mit Fernsehern. Also ehrlich. Aber er will ja helfen, also sagt er:
„Ach, du willst so eins zur Bildübertragung?“
Ich kann nicht ganz folgen.
„Du meinst einen HD-Stecker? Die sehen doch vollkommen anders aus!“ Er lacht wieder.
„Hast du denn mal ausprobiert, ob dein Kabel überhaupt passt? Ich glaube ja, du suchst hier einen von diesen platten…“
Er geht zu einem Regal und wedelt mit einer Packung.
„HD-Stecker.“ sage ich.
Der junge Mann schaut auf die Packung und ist verblüfft.
„Stimmt, sagt er. HD. Steht drauf.“
Ich bin auch verblüfft. Wenn auch aus anderen Gründen.

Ich erkläre ihm den Unterschied zwischen einem Netz- und einem HD-Stecker, ziehe auch hier einen Stecker aus einem Fernseher und freue mich an den entgleisenden Gesichtszügen des jungen Mannes als der Bildschirm schwarz wird und ich ein loses Kabel in meiner Hand halte und ich werde auch hier wieder Zeugin eines Erkenntnisprozesses, der vermutlich einer der sehr wenigen im Leben dieses jungen Mannes sein und bleiben wird.  Dann verabschiede ich mich.

Auf der Rolltreppe schalte ich mein Handy ein. Geht ja wieder.
Ich rufe die Seite von amazon auf, suche nach C8 Steckern und habe meine Bestellung abgeschickt, bevor ich unten angekommen bin.

Am nächsten Morgen kommt das Päckchen.
Ohne Belehrungen.
Ohne Belustigung.
Ohne kleine Idioten, die auf mich herabblicken.

Und auch, ohne dass ich Angst haben muss,
dass mir mitten im Gespräch die Sicherungen durchbrennen.

 

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