Frau Fricke wundert sich über unbemannte Raumfahrt

Männer sollen ja vom Mars sein, höre ich, und Frauen von der Venus. Gibt es da wirklich überhaupt kein Besuchsprogramm? Keinen Studentenaustausch? Nicht mal Sprachkurse? Irgendwie sind wir lost in translation. 

In letzter Zeit wird ja eine Menge über Frauen geschrieben. Gelegentlich auch von Männern übrigens. Und die meisten davon sind genervt. Eben war es noch sehr gemütlich so in der Chefetage, auf dem Start-Up-Summit, in der Wirtschaftsredaktion und jetzt kommen die Tussen und heulen rum, dass sie keinen Keks abgekriegt haben. Jetzt zählen die die Führungskräfte durch, rechnen nach, was wer wo verdient und wer wen mal wohin gepackt hat und dann machen die darüber ein Riesenfass auf.

„Siehste“, sagen die, die sich trauen „und darum haben wir eben genau keinen Bock auf euch. Weil das mit euch immer total uneasy wird. Weil man bei euch immer einen Untersetzer benutzen muss. Weil ihr einfach total humorfrei seid.“

Und dann fühle ich mich mies. Weil ich möchte natürlich, dass sich alle supergut fühlen. Ich möchte auch nicht die Doofe sein, die als einzige nicht über das Furzkissen lachen kann. Wenn es irgendetwas gibt, an dem ich ganz deutlich merke, dass ich kein Mann bin, dann ist es das.

Männern ist es nämlich beneidenswert Wurscht, ob sich Frauen in ihrer Gegenwart knorke fühlen. Um die geht’s ja gar nicht. Es geht ja darum die anderen Jungs zu beeindrucken.

Es geht überhaupt nicht um Frauen. Das machen Männer komplett unter sich aus. 

Erst neulich gab es einen Skandal, der das seltsam transparent machte. Also, genau genommen ein Skandälchen. Ein im letzten Moment abgefangener Kommet, der nicht mehr in unsere Welt stürzte. Was war passiert?

Piloten einer Airline hatten Videos ausgetauscht. Home made videos. Von sich selbst. Genau genommen von sich selbst, wie sie es gerade irgendjemandem vom Kabinenpersonal besorgten. Ich glaube, das ist eine ziemlich zutreffende Darstellung.

Natürlich hätte ich auch eleganter schreiben können. „Sie tauschen Videos aus, auf denen sie selbst und eine Kollegin zu sehen waren, wie beide sich den Freuden körperlicher Zuneigung hingaben.“ Aber das würde eben den Sachverhalt nicht korrekt wiedergeben. Denn die Frauen auf diesen Videos waren praktisch gar nicht da. Für die interessierte sich kein Mensch. Worum es ging, war ein „Schneller, höher, weiter“, in dem die betroffenen Damen nur die Sandbox waren, in die es zu springen galt, die Tartan-Bahn, auf der man die Leistung erbrachte, die Latte (Haha, sie hat „Latte“ geschrieben!), die es zu reißen galt (haha, sie hat… egal.).

Woher ich das weiß? Ganz einfach: Die Videos tauschten die Piloten nur untereinander. Die Frauen wussten nichts davon, dass sie gefilmt worden waren. Sie wurden auch nicht mit dem cinematographischen Material beglückt. Als Souvenir so zu sagen. Man verschickte diese Filmchen auch nicht als Bewerbungsmaterial, an andere Damen des Personals, um diese von der Qualität der eigenen Dienstleistungen zu überzeugen. Die Bewegtbilder dienten einzig dem Wettbewerb und dem gegenseitigen Amusement.  Vielleicht auch als Kerbe am Cold. Wer weiß das schon? Sie dienten jedenfalls ganz sicher keiner einzigen der Frauen, die – aus welchen Gründen auch immer – dämlich genug waren, mit ihrem Chef ins Bett zu gehen.

Übrigens gab es keinerlei Konsequenzen. Die Fluggesellschaft räumte ein, dass ihr das in Frage stehende Material vorläge, bedauerte aber, dass man seine Quelle nicht hätte ermitteln können. Tatsächlich?

Interessiert das wirklich keinen Schwanz?

Oder mal so: Wenn sich all die auf dem Porsche räkelnden Bikinimodels, die Sextapes und die Höhöhö-Bemerkungen, die Männer so von sich geben, an eine männlichen Zielgruppe wenden, findet diese männliche Zielgruppe das dann in ihrer Gesamtheit top? Reden die auch so über ihre Frauen und Töchter? Bin ich jetzt nur grenzenlos naiv, wenn ich denke, dass die Schwanzlurche eine Minderheit sind und dass die auch der Mehrheit der Männer unglaublich auf den Sack gehen? Und wenn das so ist – warum sagen die dann nichts? Warum tun die nichts? Warum distanzieren die sich nicht? Warum sagen die nicht mal: „Selber doof!“

Ich hab verstanden, dass das Verständnis von Männern und Frauen untereinander begrenzt ist. Ich selber stehe da manchmal im Dunkel  – wie dieses Blogpost ja deutlich erkennen lässt. Ich nehme es Männern deswegen nicht übel, wenn sie manchmal ein eklatantes Unverständnis Frauen gegenüber an den Tag legen.

Ich verstehe, dass es für einen Mann schwer zu verstehen ist, warum alle am Markt befindlichen Wirtschaftsmagazine an Männern orientiert und für Frauen daher weitgehend untauglich sind. Und ich sehe es einem sehr geschätzten Kollegen nach, dass er erstaunt meinte, die seien doch alle geschlechtsneutral und das Manager Magazin habe sogar mal eine Modestrecke gehabt. Geschenkt.

Ich kann nachvollziehen, warum Männer am liebsten andere Männer befördern, die genauso sind wie sie selbst. Die die gleichen Ziele verfolgen, dieselben Konzerte gehört und eine Dauerkarte für den selben Fußball-Verein erstanden haben. Ich kann verstehen, warum sie glauben, es sei ein Zufall, dass sie keine einzige leitende Position mit einer Frau besetzt haben. Ich glaube ihnen, dass sie glauben, dass sie auch eine Frau für den Job genommen hätten, wenn sie ihrer Meinung nach die Beste für den Job gewesen wäre. Und nicht so anstrengend. Und auch mal Spaß verträgt.

Ich hab das Grundprinzip verstanden:

Das Stadium, in dem die großen Spiele stattfinden, steht auf dem Mars. 

Wir von der Venus haben uns bemüht, die marsianischen Regeln zu erlernen, wir haben uns bemüht, die Sprache des Mars zu erlernen –  aber wir sind Besucher aus einer fremden Welt. Fremdarbeiter so zu sagen. Wir werden immer einen Akzent haben. Wir werden nie so gute Marsianer sein, wie die Marsianer selbst.

Dafür sind wir aber verdammt gute Venusianer.

Solange wir von der Venus aber keine Aufenthaltsgenehmigung haben, solange wir nicht Bürgerrechte haben, kein Wahlrecht und keinen Zugang zu Gestaltung und Macht, solange es allen egal sein kann, was wir denken oder leisten, sind wir weiter nur der Fleck auf dem Film, in dem der Pilot verschwindet.

Und weil den Piloten und seinen kleinen Freunden der Fleck und seine Meinung so überhaupt nicht interessiert, weil den nur ihr interessiert, Männer, ihr und eure Meinung, deswegen, seid damit großzügig! Gebt ihnen eure Meinung. Sagt nicht „Hihihi“ und „Hohoho“, wenn ihr es nicht meint. Sagt, was ihr wirklich denkt.

Stellt euch einfach vor, es ginge um eure Frau. Oder Tochter. Oder Mutter.

Wir zählen auf euch! Auf Marsianisch. Extra gelernt!

 

 

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Frau Fricke wundert sich, ob man sagen darf, was man sagen muss

Es ist nicht immer leicht, das Richtige zu tun. Noch schwerer ist es, das Richtige zu sagen. Und am allerschwierigsten ist es, zu wissen, wann nichts zu sagen das einzig Richtige ist.  Ist das vielleicht „nie“? It’s complicated. 

Logroño hat eine Kathedrale, die so schön ist, dass man weinen möchte. Traumschön. Leute kommen dahin, nur um ein Bild von Michelangelo zu sehen, dass es nur dann zu sehen gibt, wenn man fünfzig Cent in einen Schlitz wirft und wartet, bis ein kleines Türchen auf- und das Licht angeht. Für ein paar Minuten. Dann ist Michelangelo wieder weg und man kann sich den weiteren Schönheiten der Kirche widmen.

Selbst die Messe ist schöner als irgendwo sonst. Alles ist so mächtig und prächtig und eindrucksvoll. Ich weiß das, weil gerade eine Messe gefeiert wird, als ich in die Kirche stolpere. Ich schleiche mich also brav zu einer Bank und setze mich möglichst geräuschlos hin, um zuzuhören. Ich mach das gerne. Ich bin schon in großartige, sehr inspirierende Predigten gestolpert. Diese hier gehörte dazu – wenn auch anders als erwartet.

Als ich mich setze, sagt der Priester gerade, dass Jesus Liebe ist. Das klingt doch ganz gut. Aber wie, fragt er sich weiter – und damit auch die Gemeinde – wie soll sich die Liebe denn bitte gegen einen Staat durchsetzen, der alles in seiner Macht stehende tut, um sie auszurotten?

Ich höre aufmerksam zu. Mir war gar nicht klar, dass sich der Staat auf einem Kreuzzug gegen die Liebe befindet und auch nicht, was er davon hat. Aber das werde ich ja vermutlich gleich erfahren.

Der Niedergang der christlichen Ehe begann, erfahre ich, mit der Zulassung der Ehescheidung. Das ist schon mal total gegen Gottes Plan und hätte nie passieren dürfen. Aber es kam noch schlimmer. Leute fingen an, gar nicht mehr zu heiraten. Die lebten einfach so zusammen. Die kriegten sogar Kinder. Alles ohne Gottes Segen und deswegen falsch, falsch, falsch. Unverheiratete sind überhaupt per se intolerabel.

Ich überlege kurz, ob eventuell der Zölibat kürzlich außer Kraft gesetzt wurde.

Den Priester nimmt dieses Sodom und Gomorra sichtlich mit. Er spricht jetzt lauter und unter ganzem Körpereinsatz und weil er ein Messgewand trägt, sieht er dabei aus, wie ein großer Vogel, der verzweifelt mit den Flügeln schlägt. Ganz kurz mache ich mir auch ein bisschen Sorgen, denn der Mann ist nicht mehr der Jüngste. Der ist bestimmt schon in den Achtzigern. Da sollte man nicht mehr so einen Puls haben. Aber jetzt gehts erst richtig los.

Der Gipfel dieser vollkommen fehlgeleiteten Entwicklung gegen Gottes Plan, sagt er, sei nun aber die Ehe von Menschen, die von Gott nicht dazu ausersehen sind, eine Ehe zu führen. Er kann das Wort „homosexuell“ nicht aussprechen. Er nennt sie „diese von Dämonen durchsetzten Menschen“ und ihre Ehe „Ekel erregend und beschämend“. Er spuckt diese Worte aus wie Kirschkerne. Als müsse er so viel Raum zwischen sich selbst und die Stelle, an der sie landen bringen, wie möglich. Die Worte landen bei mir. Fallen einfach in meinen Schoß. Die gehen nicht weg. Die bleiben.

Was mach ich jetzt?

Ich bin ja so ganz im allgemeinen nicht gut darin, Dinge, die ich für vollkommen falsch halte, unwidersprochen hinzunehmen. Aber das hier ist nicht mein Turf. Nicht meine Stadt. Nicht meine Kathedrale. Nicht mal meine Religion. Ich bin hier nur ein Gast. Ein Zuschauer. Jemand, der, wie man in Spanien so sagt, „keine Kerze bei dieser Beerdigung hält“. Aber wird nicht, wo Recht zu Unrecht wird, Widerstand zur Pflicht?

Ich rutsche auf meiner Bank hin und her. Ich sehe mich kurz aufstehen und quer durch die Kathedrale brüllen, dass ich mich für ihn schäme. Aber ich tu es nicht. Nicht schnell genug. Und dann ist der Moment vorbei. Und ich sitze immer noch. Und ich schäme mich immer noch. Und ich rutsche immer noch hin und her. Denn jetzt hab ich geschwiegen und wer schweigt, der stimmt zu und wer zustimmt, ist Teil des Problems. Ich will aber Teil der Lösung sein.

Und dann geht es zur Eucharistie.

Ich gehe da natürlich nicht hin. Normalerweise. Aber plötzlich stehe ich auf und plötzlich stehe ich ganz hinten in der Schlange und plötzlich stehe ich vor dem Priester, der mir eine Hostie hinhält und anstatt sie zu nehmen, beuge ich mich vor und sage ihm:

„Wenn Sie damit Recht hatten, dass Jesus Liebe ist, dann werden Sie für das, was Sie gesagt haben, in die Hölle kommen, Vater.“

Und dann gehe ich sehr eilig zurück zu meinem Bänkchen. Ich würde die Geschichte hier gern beenden. Ich würde gerne schreiben, dass ich ich hoch erhobenen Hauptes im Triumph moralischer Überlegenheit zurück auf meinen Platz gegangen bin. Dass die Trompeten Jerichos erschallten, dass mich die Gloriole der Guten und Gerechten umgab, dass das der beste Moment überhaupt war, dass ich, ich ganz allein der Allmacht der Dummheit und Bigotterie getrotzt habe.

Aber so war das nicht. 

In Wirklichkeit bin ich auf meinen Platz zurück geschlichen und habe mich geschämt. Ich habe mich geschämt, weil der Mann sich im besten aller Fälle ein Ei auf meine Meinung pellt. Im schlechtesten aller Fälle aber, geht meine Saat auf und ich habe einem alten Mann, der sehr bald sterben wird, Angst vor dem Tod gemacht. Das ist die Höchststrafe! Das ist so mies, dass nicht mal mir ein Wort dafür einfällt.

Tagelang hat mich das beschäftigt. Dann treffe ich auf einen anderen Priester. Wir essen gemeinsam zu Abend  und ich erzähle ihm diese Geschichte und er sagt: „Ach, darüber würde ich mir überhaupt keine Gedanken machen. Wenn ein Priester Angst vor dem Tod hat, dann hat der größere Probleme als dich.“

Da hat er natürlich Recht. Aber das macht mich irgendwie auch nicht netter.

„Vielleicht hat er dich ja auch gar nicht gehört.“ versucht er mich zu trösten. „Ist mir egal“, sag ich, „Ich hab mich gehört.“ Der Priester lacht und dann fragt er: „Was, wenn nur Gott dich gehört hätte?“ Und ich lache und sage: „Dem muss ich doch nichts erzählen. Der weiß doch schon alles!“

Und plötzlich wird mir klar:

Ich hätte brüllen sollen.

Oder schweigen.

Aber niemals flüstern.

 

 

Frau Fricke wundert sich über Wandel

Der Digitale Wandel ist ja plötzlich keiner mehr. Jetzt ist er eine Disruption. Ein Abbruch. Gewissermaßen eine ökonomische Abtreibung. Die digitale Revolution frisst ihre Kinder. Und diese Kinder, das sind wir. Wie furchtbar! Und wie hat das überhaupt angefangen?

Die krude Wahrheit ist: Das hat nie aufgehört. Seit es diesen Planeten gibt, gibt es Veränderung und Veränderungen sind immer für die unangenehm, die am Alten gar nichts auszusetzen hatten. Selbst die Veränderung als solche hat eine Evolution erfahren. Am Anfang hat Fortschritt so zu sagen eher biologisch diruptiert. Die Dinosaurier waren trotzdem nicht begeistert, nehme ich an. Von da an überschlagen sich die Ereignisse. Der Aufrechte Gang wird erfunden und bringt Wettbewerbsvorteile mit sich – aber auch Rückenschmerzen. Und kaum sind die überwunden, da setzt auch schon die erste technische Revolution ein: Das Werkzeugdenken wird entdeckt und öffnet die Tür für den richtig heißen Scheiß: Das Feuer.

Feuer, stellt sich heraus, ist aber mal richtig revolutionär und verändert die Gesellschaft in bisher unbekanntem Ausmaß. Plötzlich kann man in Gegenden wohnen, wo man eigentlich nichts zu suchen hat. Überleben wird einfacher und das Schaffen neuer Werkzeuge. Natürlich gibts auch Nachteile, wie immer, wenn die Möglichkeiten die eigene Reflexionsfähigkeit überschreiten: Jahrhunderte später brennen die Städte ab, die es ohne Feuer gar nicht gegeben hätte. Rom zum Beispiel, viel später auch London oder Hamburg. Die disruptive Kraft des Feuers ist so gewaltig, dass sie sogar gezielt eingesetzt wird – in Kriegen, gegen die, denen man die wirtschaftliche Macht unterstellt, die man selbst gern hätte.

Das sollten wir uns gleich mal merken: Im Kielwasser technischer Revolutionen schwimmt immer die gesellschaftliche Veränderung – und die ist selten friedlich. 

Und schon dreht sich das Rad der Geschichte weiter, denn das wird erfunden und macht damit Transporte und Antriebe möglich. Träger werden massenhaft arbeitslos, dafür gibts jetzt Fuhrleute. Ohne Rad keine Druckerpresse. Die nächste Revolution bahnt sich an – diesmal wörtlich. Geschichtenerzähler werden arbeitslos, die Jobbeschreibung von Mönchen und Nonnen verändert sich drastisch. Es gibt Abwanderungen in andere Branchen. Die Katholische Kirche, bisher mächtigster Global Player mit Sitz in Rom, erodiert.

Rasen wir direkt weiter. Denn Newcomen kommt auf die Idee, Rad und Feuer zu kombinieren und erfindet damit die Dampfmaschine. Plötzlich geht alles irre schnell. Dampfschiffe rasen und kommen mit einem Bruchteil des Personals von Segelschiffen aus. Webstühle hauen in Stunden raus, wofür ein Weber Tage braucht. Es gibt Hungersnöte und Aufstände – und irgendwann keine Weber mehr.

Alles wird immer schneller und ich könnte jetzt immer so weiter machen, aber das Telefon klingelt, das es eben noch gar nicht gegeben hat und löst eine kommunikative Entwicklung aus, die die nächste Revolution wird. Auch da gibt es wieder Opfer. Kuriere werden erst Ende des 20. Jahrhunderts wieder in Mode kommen, wenn es zu viele Autos geben wird – die es eben auch noch nicht gab.

Das Prinzip ist aber: Immer, wenn etwas Neues entsteht, vergeht etwas Altes. 

Man mag das bedauern. Aber man wird es nicht ändern. Die gute Nachricht ist: Mit jeder neuen Entwicklung gab es auch neue Möglichkeiten. Die Berufsbilder meiner Eltern gibt es heute nicht mehr. Meinen Job gab es zu ihrer Zeit noch nicht. Mir ist da nicht bang. Es gibt da aber etwas, dass ich viel weniger verstehe:

Warum ist es zu keiner Zeit gelungen ist, die gesellschaftlichen Auswüchse der jeweiligen New Economies in den Griff zu bekommen?

Kaum gab es Fabrikhallen, schon gab es auch den Manchester-Kapitalismus. Der war davon geprägt, dass die Unternehmen so neu waren, dass sie die Arbeitsbedingungen frei bestimmen konnten. Wer für sie arbeitete, arbeitete immerzu, zu Hungerlöhnen und unter schlimmsten Bedingungen. Dabei hatte es vorher durchaus schon Reglements der Arbeitsbedingungen z.B. für Feldarbeiter gegeben, die Pausenzeiten, Bezahlung und Boni regelten. Jawohl, Boni! Auch die gab es schon. Zum Ende der Erntesaison – zu Martini – gab es eine Gans und ein Kleid. Fabrikbesitzer aber fanden, dass so eine Fabrik etwas ganz anderes sei und dass die Regeln deshalb für sie nicht galten. Wir wissen, wie die Sache ausgegangen ist: In Europa hat sich das geändert. Und das war kein Picknick. Weltkriege und Revolutionen lagen zwischen Manchester und Weihnachtsgeld. Aber nun gehts uns gut. Warum also geht die ganze Sache jetzt wieder von vorne los?

Wieso ist Facebook keine Zeitung?

Auch in der New Economy werden plötzlich sehr, sehr wenige in sehr, sehr kurzer Zeit sehr, sehr reich – vor allem, weil sie finden, dass für sie die Regeln nicht gelten. Selbst Gesetze müssen angeblich extra neu gemacht und durchgesetzt werden – und das dauert. Dabei haben wir schon welche und die funktionieren doch eigentlich prima.

Ich kann z.B. nicht verstehen, warum Facebook anders behandelt wird, als eine stinknormale Zeitung. Eine Zeitung ist ein Medium und Facebook auch. Beide finanzieren sich durch Werbung, die vermutlich kein Mensch sehen würde, wenn sie nicht eigentlich an den Inhalten der Medien interessiert wären. Am Content also. An dem, was andere Leute an Informationen und Meinungsbildern zur Verfügung stellen.

Bis hierher also nix Neues. Aber jetzt gehts los mit den Unterschieden.

Von einer Zeitung verlangt der Gesetzgeber, dass sie die Verantwortung  übernimmt für das, was sie publiziert. Zu Recht. Wird sie der Verantwortung nicht gerecht, hat das Folgen für sie. Bei Facebook ist das anders. Und warum das so ist, ist mir unverständlich. Facebook argumentiert, dass sie ja keine Kontrolle über das hätten, was da geschrieben wird. Ja, das hätte eine Zeitung oder eine Rundfunkanstalt auch nicht, wenn sie die Kontrolle nicht übernehmen und bezahlen würde. Rein theoretisch könnte ja auch eine Zeitung dazu einladen, dass einfach jeder, der das will, da mal schreiben kann, wonach ihm ist. Praktisch bezahlt sie aber Leute, die gut schreiben können, weitere, die juristische Prüfungen vornehmen, immer seltener solche, die auch die Rechtschreibung kontrollieren und sie geben Geld für Recherche aus. All diese Kosten hat Facebook nicht. Das erklärt vielleicht, warum immer weniger Journalisten für immer weniger Geld arbeiten, unsere Informationslage immer unzuverlässiger und mieser wird und Mark Zuckerberg auf Platz 5 der Forbes Liste steht. So ganz allein.

Hoffentlich geht das diesmal gut.

Alles andere findet sich schon. Wie immer.