Frau Fricke wundert sich über den Tod

Es ist Chinese New Year. Ein Jahr beginnt. Und traditionell gedenkt man derer, für die nichts mehr anfängt, für die schon alles aufgehört hat. Man geht in die Tempel und schickt den Ahnen, was sie eben so brauchen, wenn sie tot sind. Und das scheint eine ganze Menge zu sein.

Wer genau beobachtet, der hat in den Wochen vor Neujahr schon bemerkt, dass die in der Nähe der Tempel gelegenen Fachgeschäfte für Totenbedarf aller Art aufgestockt haben. Hier gibt es alles, was sich auch Lebende so wünschen – nur eben aus Papier: Häuser, Luxuskarossen, Handies – bevorzugt iPhones, Schmuck und Markenklamotten, Motorroller und Flachbildfernseher. Vor allem aber Geld und jede Menge Gold. Gold in Münzen oder Barren, die hier aussehen, wie kleine Schiffchen, ganz egal, Hauptsache Gold und viel. Man bekommt schnell den Eindruck, jeder Tote würde in seinem Nachleben ein Rapper werden. Eine Vorstellung, die für mich keine schöne ist.

Überhaupt, wenn man im Tod nicht wenigstens bedürfnislos ist, was soll das dann? Was hat man denn dann vom Sterben? Gar nichts! Das ist kein cooler Deal.

Sterben, so hab ich mir das immer vorgestellt, ist ein Pakt, in dem man sein Leben lassen muss, es aber gegen Sorglosigkeit eintauscht. Nie wieder Schmerzen, nie wieder Geldnot. Ob man Falten hat, zu fett ist, uncharmant oder ein Loser, total egal, denn inzwischen ist man ja tot und das ist größer als alles. Tod ist der große Gleichmacher. Vielgeliebte Familienmenschen liegen genauso einsam in der Kühlbox wie die Miesmacher, mit denen noch nie jemand was zu tun haben wollte. Der Reiche und der Arme sind gleich tot. Könige wie Bauern sterben denselben Tod. Und dann kommen die Chinesen und verbrennen Goldbarren aus Papier. Was soll das?

Als ich da so an einer Feuerstelle im Tempel sitze, werden mir mehrere Dinge klar. 1. Ich werde ein sehr karges Nachleben führen, denn ich habe keine Nachfahren, die für mich Goldbarren und Mercedes Benze verbrennen. 2. Das war vermutlich schon im letzten Leben so, denn auch in diesem besitze ich weder Goldbarren noch Mercedes Benze. 3. Vielleicht ist das allerdings auch darauf zurückzuführen, dass ich auf beides keinen Wert lege – ebenso wenig wie auf Schmuck und Goldene Uhren. Aus dem Totenbedarfs-Fachgeschäft interessiert mich eigentlich nur das Haus, denn irgendwo muss ich ja wohnen. Selbst der Flachbildfernseher ist von geringem Reiz, denn seine Mattscheibe ist schwarz. Was soll man mit so einem Fernseher in der Ewigkeit? Ewig auf die schwarze Mattscheibe starren? Das wird ja wahnsinnig langweilig.

Ich überlege also, was ich mir gern verbrennen lassen würde. Und wie ich da so sitze und darüber nachdenke, was ich mir selbst denn so verbrennen würde (vielleicht kann man ja vorausschauend irgendwo ein Depot anlegen, das dann auf einen wartet), erreicht mich die Nachricht vom Tod Roger Willemsens. Und meine Gedanken frieren plötzlich ein. Nicht dass ich Roger Willemsen persönlich gekannt hätte. Aber ich habe ihn in seiner Profession geschätzt – und beneidet. Und nun, nach nur 60 Jahren, gibt es ihn nicht mehr. Einfach weg. Abgeholt vom großen Gleichmacher.

Und Roger Willemsen, Roger Willemsen, der hatte Sachen, die ich gern gehabt hätte. Schon in diesem Leben. Bücher hat er geschrieben. Klug ist er genannt worden. Wenn er gesprochen hat, dann hat man ihm zugehört. Und reich ist er damit geworden – vielleicht gar sorglos schon zu Lebzeiten. All das hätte ich auch gern. Aber das gibts nicht aus Papier. Nicht einmal im Totenbedarfsfachhandel an der Ecke vom Tempel.

Sechzig, das sind von jetzt an noch acht Jahre. Und überhaupt sterben in letzter Zeit gefühlt alle schon mit 70. Irgendwie scheint 70 das neue 90 geworden zu sein. Ich fühle mich plötzlich, als hätte jemand das Metronom meines Lebens angestellt und ich kann hören, wie die Zeit verrinnt und ich hab noch gar nichts geschafft und ich hab noch so viel vor und ich vertrödele meine Zeit, anstatt etwas zu tun, damit ich am Ende meines Lebens weiß, warum es überhaupt angefangen hat. Wie soll man denn gehen, wenn man gar nicht weiß, wozu man überhaupt da war? Und plötzlich wird mir ganz anders.

Aber dann fällt mir die Beerdigung ein, deren Zeuge ich ganz am Anfang meiner Reise nach Bangkok war. Ein großer, ein bedeutender Mann ist da gestorben. Und seine Totenfeier wurde im bedeutendsten Tempel der Stadt abgehalten. Einen kompletten Nebenhof hat man nur für seine Kränze abgestellt. Hunderte waren das. Riesengroß und wunderschön. Alles was in seiner Branche Rang und Namen hatte, hatte riesige Gebinde geschickt. Und dazwischen: Ein Malbuch für Kinder. Das war schon für’s nächste Leben. In einer anderen Ecke des Hofes verbrannten gleich 3 Angestellte im Akkord jede Menge Papiergold, gleich ein Dutzend Autos – warum Gewohnheiten ändern, nur weil man tot ist? – und man konnte ein riesiges Anwesen erkennen, das noch auf seine Verbrennung wartete. Und in einer Halle: Der Sarg. Ein prächtiges Ding. Aus einem Stamm geschnitzt. Massiv. Unerschütterlich. Herrschaftlich. So, wie der, der darin liegt, wohl gern gesehen werden wollte. Aber das, woran ich jetzt wirklich denken muss, das stand diskret unterhalb des Sarges auf einem unscheinbaren Tischchen:

Ein Frühstück und eine Zahnbürste.

 

 

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