Ich bin nicht Paris. Da bin ich mir ziemlich sicher. Und ich bin dankbar dafür. Denn wäre ich Paris, dann wäre ich jetzt tödlich verwundet. Ich würde aus über 100 Einschusslöchern bluten und zusehen müssen, wie das Leben aus mir sickert.
Ich bin nicht Paris. Und ich bin keiner seiner Verteidiger. Und ich bin froh darum, denn während genau jetzt Polizisten mit schweren Waffen und noch schwereren Splitterwesten durch die Stadt patrouillieren und fürchten müssen, dass irgendein gut ausgebildeter Schütze genau jetzt irgendwo eine Präzisionswaffe auf genau den Teil ihres Körpers richtet, der nur mit einem kleinen Mützchen bedeckt ist, spaziere ich meine Einkäufe vom Supermarkt nach Hause und die einzige Gefahr, in der ich wissentlich schwebe ist die, zu viel eingekauft zu haben.
Ich bin nicht Paris, denn ich warte nicht noch immer auf Nachricht von meinen Leuten. Ich stehe nicht vor einem Krankenhaus und hoffe und bange. Ich frage mich nicht, ob ich meine Kinder noch in die Schule bringen, selbst die U-Bahn zur Arbeit benutzen oder über den Weihnachtsmarkt schlendern kann.
Ich bin nicht Paris und deswegen steht mir auch die Trauer nicht zu. Mir steht die Aufmerksamkeit nicht zu und das Gemeinmachen mit den Opfern. Und allen, die jetzt eilig Bilder vom Eifelturm posten, die in Castrop-Rauxel Selfies von sich in mit Maschinengewehren bedruckten Hoodies machen und sie verbunden mit dem Text der Marseillaise ins Netz stellen, allen die jetzt sagen, sie wären Paris möchte ich sagen: Nein, seid ihr nicht.
Ob es euch gefällt oder nicht: Ihr seid hier nicht wichtig.
Wir alle, die wir Gott sei Dank nicht Paris sind, wir sind nur Zuschauer. Sonst gar nichts. „Bystander“ sagt man auf Englisch. Jemand, der nur dasteht und weder Teil des Geschehens ist, noch in irgendeiner Weise in das Geschehen eingreift. Kurz: Jemand, der hier keine Rolle spielt.
Paris braucht uns nicht. Nicht so. Aber anders. Wer verwundet ist, wer trauert, wer leidet, wer gezwungen ist, all seine bloße, nackte Verletzlichkeit zu zeigen, der braucht jemanden, der für ihn stark ist. Vollkommen selbstlos. Ohne Anspruch auf Anerkennung.
Wir sollten nicht Paris sein, sondern die, an die Paris sich anlehnen kann.
Wir sollten vernünftig sein, damit Paris, wütend sein kann.
Wir sollten besonnen sein, wenn Paris irrational wird.
Und wir sollten uns eingestehen, dass unsere Mittel begrenzt sind und dass wir wenig mehr tun können, als dabei zu stehen und zuzuschauen.
Ich bin nicht Paris.
Sowenig wie ich New York war, Stockholm oder Madrid. Und wenn die Welt Anlass hat, Barcelona zu sein, dann hoffe ich, dass ich jemanden finde, der das nicht ist. Der mich Barcelona sein lässt und mich weinen, toben und Angst haben lässt und mir die klugen Dinge abnimmt.