Frau Fricke wundert sich über den Krieg

Wir sind im Krieg, sagt Frankreich. Das darf Frankreich, denn Frankreich steht unter Schock. Und da sagt man wirre Sachen. Und da macht man Dinge, die man besser nicht tun sollte.

Und da braucht man Freunde, die das Schlimmste verhindern.

Sarajevo und der Erste Weltkrieg. Ich bekenne, dass es in der Schule eine Menge gab, das ich nicht verstanden habe. Aber wenn ich eine Sache benennen sollte, die ich wirklich vollkommen unverständlich fand, dann war das Sarajevo und der Erste Weltkrieg.

Da wird der Schwippschwager irgendeines Monarchen in einem Nest im fernen Balkan erschossen. Von beiden hatte man damals nie gehört. Genausowenig, wie von der Gruppe, die sich dafür verantwortlich zeigte:  Mllada Bosna  – „Neues Bosnien“. Junge Männer, die einen eigenen Staat nach ihren Regeln wollen. Klingt bekannt, oder?

Was sie bekommen ist der Erste Weltkrieg. Giftgas kommt erstmals zum Einsatz, U-Boote werden in Stellung gebracht. Alles was die brandneue Kriegstechnologie aufzubieten hat, wird ausgeschüttet, wo immer sich eine Gelegenheit bietet.

40 Staaten werden sich am Ersten Weltkrieg beteiligen. 17 Millionen folgten dem in Sarajevo erschossenen Erzherzog. 17 Millionen Tote. Nur im Ersten Weltkrieg. Grob geschätzt. Und wir wissen, dass der Erste Weltkrieg nur das traurige Präludium des Zweiten Weltkriegs war. 60 bis 80 Millionen starben im zweiten Akt.

Es ist also fair zu sagen: 100 Millionen Tote haben es Mllada Bosna aber mal so richtig gezeigt.

War es das wert?

Als kürzlich Helmut Schmidt gestorben ist, habe ich mir seine alten Interviews aus und über die Zeit der Schleyer-Entführung angesehen. Ein Leben lang hat er sich für den Tod Schleyers verantwortlich gefühlt. Ein Leben lang hat ihn diese Verantwortung gequält.

Es hat ihn belastet, das Richtige getan zu haben.

Damals hat die konservative Volksseele gekocht. Nach unbestätigten Gerüchten, hat Franz Josef Strauß damals gefordert, die inhaftierten RAF-Mitglieder, die durch Schleyer freigepresst werden sollten, einfach zu erschießen. Mit dieser Idee stand er, wenn es denn so war, nicht allein. Es darf wohl gesagt werden, dass, wenn Strauß jemals ein Volksvertreter war, es wohl in diesem Moment gewesen ist. Aber genau dafür wählen wir Menschen zu Politikern, von denen wir hoffen, dass sie klüger sind als wir, dafür, dass sie in prekären Momenten das Richtige tun und nicht das, was wir selbst heißen Herzens aus dem Bauch heraus gemacht hätten.

Helmut Schmidt hat sich gegen ein Töten der Gefangenen entschieden. Wischnewski sagte dazu einmal lapidar, das sei ja auch irgendwie mit der Verfassung nicht vereinbar gewesen. Schmidt hat einen anderen Beweggrund genannt.

Er sagte, in der großen Lage hätten damals ausschließlich Politiker gesessen, die, wie er, alle den Krieg kennen gelernt hatten. Sie wären über die Mittel nicht immer einig gewesen, aber alle hätten ein gemeinsames Ziel gehabt: „So eine Scheiße darf nie wieder geschehen.“

Deswegen und nur deswegen habe man sich damals entschieden, den Terrorismus nicht auch noch dadurch zu legitimieren, dass man als Staat in die Verhandlung mit Einzeltätern geht.

Für Schleyer ist das nicht gut ausgegangen. Für die Nation schon.

Damals wie heute hatten die Terroristen eine breite Unterstützerfront unter Gleichaltrigen und Jüngeren. Damals wie heute galten sie ihren Altersgenossen, als die coolen Desperados, die sich nichts gefallen ließen und gerade, dass ihre Waffen so locker saßen, machte sie zu Helden.

Damals wie heute gaben die Terroristen höhere Ziele an. Die RAF wollte die unterdrückten Völker befreien. Eigentlich egal wo. Vietnam war ok, aber auch der ganze Vordere Orient, wo sie sich in Trainingscamps an der Waffe ausbilden ließ.

Die Bilder ähneln sich also frappant.

Und damals wie heute entgeht den meisten, dass es sich bei den Ausführenden um mehr oder minder junge Leute mit einem massiven Anpassungs- und Drogenproblem handelt, die auffällig wenig für ihre revolutionäre Sache erreichen und umso mehr durch schlicht kriminelle Delikte auffallen. Baader saß als Autoknacker im Gefängnis lange bevor er Autoknacken als revolutionäre Tat entdeckte. Auch Bankraub lässt sich prima als antiimperialistischer Akt verbrämen. Die Tatsache aber, dass Baader durch den Ankauf ungewöhnlich großer Mengen ziemlich teurer Feinkost aufgeflogen ist und Ensslin in einer Boutique verhaftet wurde, in der ihre Anhänger sich nicht einmal einen Schal hätten leisten können, lässt darauf schließen, dass ihre Revolution bei ihnen selbst endete.

Ich bin Helmut Schmidt dankbar, dass er das erkannt hat.

Er hat keine Angriffe auf die Ausbildungslager im Nahen Osten geflogen – und das dürfte ihm später bei der Befreiung der Landshut sehr zu Gute gekommen sein.

Er hat keinen Krieg ausgerufen, Allianzen gesammelt und die Welt der RAF, die sich ja nach ihren Angaben bis nach Asien erstreckte, dem Erdboden gleich gemacht.

Er hat getan, was richtig war. Er hat Terrorismus gesehen, als das was er war: Ein furchtbarer Akt einer kleiner Gruppe, der man nicht erlauben darf, Millionen in ihre persönliche Fehde zu ziehen.

Charleston, Stockholm, Madrid, Boston – die Liste der Attentate ist so lang wie die ihrer verstörten Mörder. Denn das sind sie: Kleine Gauner, aus denen billige Mörder wurden, in einem Kampf, den sie nicht verstanden und für den sie sich wie Schlachtvieh opferten.  Ohne Mandat. Ohne Auftrag einer höheren Macht. Kleine Knilche die in ihrer Ohnmacht Menschen töteten, die in der Welt besser klar kommen als sie selbst.

Adeln wir sie nicht, indem wir jedem von ihnen Millionen Tote folgen lassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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